Sonia Fernández-Vidal: Nikos Reise durch Raum und Zeit

Cover Fernandez-Vidal Nikos Reise

© Hanser

Auf der Liste der nominierten Wissensbücher des Jahres habe ich ein Buch entdeckt, dessen Thema ich schon immer verstehen wollte: die Quantenphysik. Nikos Reise durch Raum und Zeit ist ein Jugendroman, der für Leser ab 12 Jahren empfohlen wird und in Spanien, dem Heimatland der Autorin, zum Bestseller wurde. Die Rätsel der Quantenphysik verpackt in eine fantasievolle Geschichte, dazu eine schöne Buchgestaltung – das klang vielversprechend. Ich wollte mich verzaubern lassen, doch das ist der Autorin nicht gelungen!

Die spanische Autorin Sonia Fernández-Vidal hat als Physikerin unter anderem am Schweizer Kernforschungszentrum CERN gearbeitet und ist Expertin für Quantenphysik. Dieses Thema präsentiert sie als Handlung eines schlanken Romans mit etwa 200 Seiten. Als Niko eines Tages auf dem Weg zur Schule vom gewohnten Weg abweicht, entdeckt er ein Haus, welches ihm bisher verborgen war. Nachdem ein kleines Rätsel gelöst ist, gelangt er in die geheimnisvolle Quantenwelt. Dort begegnet er der hübschen Fee Quiona, in die er sich sofort verliebt, und einem jungen Elfen namens Eldwen. Die beiden machen ihn bei ihren gemeinsamen Abenteuern mit den Wundern der Quantenwelt vertraut.

Gleich zu Beginn besucht Niko die Uraufführung des Stücks “Das Universum”. Der Urknall ereignet sich als heftige, aber geräuschlose Explosion und führt zur Entstehung der Elementarteilchen. Der Kampf zwischen Materie und Antimaterie kurz danach wird durch ein Fußballspiel verdeutlicht. Die Materie gewinnt das Spiel und verdichtet sich zu immer größeren Teilchen und bildet schließlich Sterne, Planeten und Galaxien. Das finde ich recht anschaulich erklärt.

Niko wird immer wieder darauf hingewiesen, dass er in der Quantenwelt eine Aufgabe zu erfüllen hat. Welche das ist, teilt man ihm aber erst am Ende der Geschichte mit. Für den Fortgang der Handlung ist diese Information irrelevant, denn aus ihr wird keine Spannung erzeugt.

Worin unterschiedet sich die Quantenwelt im Roman von unserer Welt? Zum einen ist sie bevölkert von Elfen, Feen und verschiedenen Elementarteilchen, die durch die Gegend wuseln. Menschen sind dort nicht zugelassen, da sie diese Welt zerstören würden. Zum anderen funktionieren manche Dinge dort anders als in der klassischen Welt. Man kann mit der Zeit experimentieren, man kann einfach durch Wände tunneln, um an einen anderen Ort zu gelangen, oder dank der Quantenverschränkung sogar teleportieren.

Es gibt auch ein paar Ähnlichkeiten zu unserer Welt, Mütter, die ihren Kindern Cannelloni servieren, oder Teenager, die es abends in die Disc-Q zieht, um zu tanzen und ihrem Star zuzujubeln. Dort gehört die Bühne dem Higgs Boss On mit seinem Hit Born in the Quantum World. Warum er so angehimmelt wird, erklärt der Elf so:

“Er ist dafür verantwortlich, dass du überhaupt Masse hast. Ohne ihn würde die Waage null anzeigen, wenn du darauf stehst.” “Toll … Higgs ist also eine Art Kiloverteiler. Wirklich sehr beeindruckend!” “Genau. Deshalb gibt es auch so viele Mädchen, die dem Boss On gefallen wollen – sie alle wollen die perfekte Figur.”

Und damit bilden sie das sogenannte Higgs-Feld. Viel mehr ist über das Higgs-Boson auch auf den letzten Seiten des Buches, im Wörterbuch für Fortgeschrittene, nicht zu erfahren. Sämtliche physikalischen Erklärungen sind wie in diesem Beispiel in die Dialoge zwischen Niko und einem Bewohner der Quantenwelt eingebettet, wenn auch nicht immer so platt. Der Tonfall ist meist belehrend, wodurch die Unterhaltungen sehr hölzern klingen.

Die Lichtgeschwindigkeit wird hier ebenso definiert wie die Relativitätstheorie, das Zwillingsparadoxon oder die Heisenbergsche Unschärferelation. Manche Einfälle der Autorin haben mir gut gefallen, so z.B. ihre Erklärung, was in einem Teilchenbeschleuniger passiert:

“Bei den Zusammenstößen tauchen neue Teilchen auf, weil sich die Masse in Energie wandeln kann – das passiert zum Beispiel auch bei Atombomben. Genauso kann aber auch die Energie zu Masse werden. Schau: Im Beschleuniger werden die Teilchen mit immer mehr Energie angereichert und mit dieser Energie werden dann neue Teilchen geschaffen. Das ist so, als würdest du zwei Teller aneinanderschlagen – und außer den Scherben würden auch noch Löffel, Gabeln und das komplette Besteck entstehen. Atomisch, oder?”

Schrödingers Katze

Schrödingers Katze

Die Geschichte ereignet sich in einem Zeitraum von wenigen Tagen, in denen der Held von einem Abenteuer zum nächsten und damit auch von einem physikalischen Begriff zum nächsten jagt. Die Autorin verschwendet keine Zeit damit, die Charaktere zu entwickeln. Sie hat schöne Einfälle, die aber in der Hektik nicht ausgesponnen werden, mit Ausnahme von Schrödingers Katze, die in Text und Bild durch das Buch geistert und die Geschichte etwas auflockert. Obwohl die Phänomene der Quantenphysik gut verständlich erklärt werden, reicht das nicht aus, um die Handlung dieses Buches zu tragen. Die Quantenwelt bleibt fade.

Da nützt es auch nichts, wenn sich die Autorin von erfolgreichen Jugendbüchern inspirieren lässt. So erinnert z.B. der Vorgang des Tunnelns, indem man auf eine Wand zuläuft und hindurchdringt, stark an die Bahnhofsszenen in den Harry Potter-Romanen von J. K. Rowling auf Gleis 9 ¾. Und die Fahrt mit einer Harley Quantumson, die vom Boden abhebt, hat Ähnlichkeit mit Harry Potters Fahrten auf dem Motorrad des Riesen Hagrid.

Auch ein paar Allerwelts-Weisheiten bekommen die Leser mit auf den Weg, z.B. die richtigen Fragen zu stellen oder vom gewohnten Weg abzuweichen. Das alles ist gut gemeint. Doch Originalität und Spannung habe ich leider vermisst. Ganz ehrlich: ich weiß nicht, ob junge Leser ab 12 Jahren dieses Buch zu schätzen wissen und sich auf die Quantenphysik einlassen. Und damit wäre der Zweck des Buches verfehlt.

Dieses Buch ist nominiert zum Wissensbuch des Jahres 2014 in der Kategorie Perspektive, also Bücher für junge Leser. Mein Favorit ist es aus den genannten Gründen nicht.

Sonia Fernández-Vidal: Nikos Reise durch Raum und Zeit – Ein Roman über die Rätsel der Quantenphysik
Aus dem Spanischen von Kristin Lohmann
Hanser Verlag 2013, ab 12 Jahren empfohlen
ISBN 978-3-446-24311-8

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6 Kommentare

  1. Ach, das ist schade, dieses Thema hätte ich auch gerne mal gut verständlich erklärt bekommen. Ist das Buch übersetzt? Vielleicht liegt es ja daran.
    Liebe Grüße
    Kai

    • Möglich, dass es auch an der Übersetzung liegt. Das Hauptproblem für mich war aber eher, dass die Handlung nur den Rahmen für all die physikalischen Definitionen bildet. Streiche diese Definitionen, und es bleibt kaum etwas übrig, keine spannende Geschichte, keine glaubwürdigen Charaktere, keine echten Dialoge. Ich hätte gern mehr von dieser seltsamen Quantenwelt erfahren.
      Liebe Grüße,
      Petra

  2. Wenn es nach mir ginge, würde das Buch schon einen Preis bekommen. Junge Leser, die mit der Physik nichts am Hut haben, werden sich das Buch sowieso nicht anschaffen. Aber für all diejenigen, die Interesse daran haben, ist es ein prima Einstieg!

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